Mnemosina e.V. - Verein für europäische Erinnerungskultur

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Lyrik [deutsch - russisch]

Mexikanisches Divertissement [Auszüge]

1 Cuernavaca

Im Park, wo M. (einst Frankreichs Protegée)

sich eine Schöne nahm, ein Indioblut,

sitzt jetzt ein Sänger, der das Brot der Ferne aß.

Der Garten wuchert wie ein eng geschriebnes „W“.

Verwachs’nen Brauen ähnelt einer Drossel Flug.

Die Luft ist klarer als geschliffnes Glas.

 

Das Glas ist nebenbei bemerkt zerschlagen.

M. war hier Imperator für drei Jahre.

Er hat Kristall, Champagner, Bälle eingeführt.

Mit solchen Dingen läßt das Leben sich ertragen.

Doch haben dann Republikanergarden

M. füsiliert. Ein Kranichschrei, bis hier-

 

her dringt er traurig aus dem tiefen Blau.

Am Birnbaum rütteln Hände voller Schwielen.

Drei weiße Enten schwimmen auf dem Teich.

Das Ohr erkennt im raunend Einerlei des Laubs

einen Jargon, der dem Gespräch der Seelen

in einer überfüllten Hölle gleicht.

 

_______________

 

Doch stellen wir uns vor: statt Palmen nun Platanen.

Und M., wie er die Feder legt zur Seite

und von sich wirft den seidnen Morgenrock.

Er denkt: was mag Franz-Josef derweil planen

(sein Bruderherz und wie er selbst ein Kaiser).

Mit leiser Wehmut summt er „la Marmotte“.

 

„Ein Gruß aus Mexiko. Ihren Verstand

verlor Charlotte in Paris. Und hier

vor dem Palast sieht man nur Feuergarbenglut.

Die Hauptstadt ist beinahe in der Hand

der Aufständischen. Bleibt – das Murmeltier.

Die Hotchkiss gilt jetzt mehr als jeder Pflug.

 

Es ist ja auch bekannt: die Böden sind

erbärmlich, tertiäres Kalkgestein.

Und dazu äquatoriale Hitze.

'Ne Kugel pfeifft hier öfter als der Wind.

Dieses Gefühl stellt sich bei Lungen, Nieren ein.

Allmählich schält die Haut sich ab. Ich schwitze.

 

Und obendrein, fürwahr, ich will nach Haus.

Ich sehn mich schon nach unsren Slums. Ach Gott,

schickt Almanache, schickt mir Poesie.

Man bringt mich um, danach sieht es aus.

In Liebe M. Avec que la Marmotte.

Ergebenst grüßt auch die Mulattin Sie.“

 

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Das Ende des Juleis versinkt im Regen,

wie in Gedanken euer Vis-à-vis.

Was euch nicht sonders rührt in einem Land,

das wenig vor sich hat, und viel, was schon gewesen.

Straßen voll Matsch. Von fern Gitarrenspiel.

Gelblicher Dunst verschluckt einen Passant.

 

Der Teich ist zugewachsen. Wie der Rest.

Eidechsen, Nattern wimmeln. Bewohnte

Baumwipfel: Vögel, bald mit Eiern, bald

auch ohne. Was Dynastien scheitern läßt: –

zu viele Erben bei zu wenig Thronen.

So kommen Wahlen und es kommt der Wald.

 

M. würde wohl die Gegend nicht erkennen.

Die grauen Säulen, Nischen ohne Büsten.

Das Mauerwerk, das zahnlos in den Grund versinkt.

Du stillst den Blick, kannst einst Gedachtes nicht verlängern.

Der Park, die Gärten werden grüne Wüsten.

„Ein Krebs.“ – dies kommt dir plötzlich in den Sinn.

 

 

1867

Im Garten, nachts, unter den Trauben eines Mango,

tanzt Maximilian das, was später wird zum Tango.

Des Schattens Abbild kehrt zurück als Bumerang. O!

Auch in der Achsel herrschen sechsunddreißig Grad.

 

Es schimmert auf dort eines Jackenfutters Weiße.

Vor Liebe die Mulattin schmilzt wie Schokospeise,

keucht in der männlichen Umarmung süß und leise.

Da wo es sein muß: mal rauh, mal glatt.

 

In stiller Nacht, im Schutz verborgner Waldeszonen,

als Fortschrittsmotor handelnd, der sich nicht wird schonen,

an die zwei Pesos nicht mehr kennenden Peonen,

teilt dort Juarez jetzt die neuen Waffen aus.

 

Gewehre klicken. Im Bericht auf Karo-Seiten

Juarez registriert genau die Einzelheiten.

Ein Papagei im Farbgewand der Tropenbreiten

auf einem Ast sitzt und krächzt hinaus:

 

Nicht besser ist Misanthropie, liebt man die Rosen,

vielleicht, doch ehrlicher, als engagierte Posen.

Bei beidem, immer, Blut und Tränen sind geflossen.

Noch mehr in unsern Tropen, wo der Tod, ganz kraß,

 

wie eine Seuche sich verbreitet durch die Mücken,

wie im Café gewagte Phrasen, die mal glücken,

und einen Schädel im Gebüsch drei Augen schmücken,

in jedem – üppig ein Büschel Gras.

 

Übersetzung „1867“: © Ralph Jährling

 

 

Mexikanische Romancero

Kaktus, Palme, Agave.

Aufgang der Sonne im Orient,

sie lächelt noch wie im Schlafe.

Schau näher hin: sie brennt!

 

Ausgeglühte Felsen.

Erde, grindig bedeckte.

Schädel in ihrem Grinsen,

in ihrem Strahl – Skelette.

 

Auf einem Telegraphen

nackthalsig, entstellt

Geier wie die Hieroglyphe

eines Aases im grauen Text

 

der Straße. Gehst du zur Seite,

nach rechts: eine Agave.

Dito links. Gradeaus weiter

rostige Schrottplatzwaren.

 

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Mexiko-City am Abend.

Trägheit und blindes Streben

vermixt wie in einer Schale.

Wie Teqilla strömt hier das Leben.

 

Straßen, Lichtkegel, Gesichter.

Schnauzbärtig ein jeder fast.

Auf der Paseo de la Reforma

Bronzestatuen en masse.

 

Neben jeder sitzen am Rand

des Trottoirs Mexikanerinnen

mit ausgestreckte Hand,

im Arm ein Säugling. Diese

 

Figur mit Spuren von Tränen

könnte man im Grunde

zum Denkmal der Nation erheben.

Sicher säßen sie auch dort darunter.

 

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Der Garten, Blattwerk vermehrend,

verrät dich nicht an die Glut.

(Ich wußte, ich existiere,

solange es gab auch ein DU).

 

Plätze, Häuser, Dachgrat

Nymphe im Wasserspiel.

(Solange ich bei dir war,

sah ich die Dinge im Profil.)

 

Himmlische Haine, ein Hades

im Rücken mit Stimmen.

(Wer war immerzu so nahe,

als du bei mir gewesen.)

 

Nacht. Der Mond scharlachrot

wie Siegellack auf einem Brief.

(Ich fürchtete nicht den Tod,

solange du mich riefst.)

 

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Nächtliches Mexiko-City.

Große Liebe zu Vokalen.

Straßenmusiker singen

lauthals „Guadalaxara“.

 

Fröhliches Mexiko-City,

gleich einem gerahmten Gemälde,

doch unbekannter Pinsel,

die Stadt von Bergen umgeben.

 

Nächtliches Mexiko-City.

Tanz der flimmernden Lettern

Coca-Cola. Zum Zenit hin

flattert ein Engel-Beschützer.

 

Das Risiko hierzulande ist:

beim Fliehen erschossen zu werden,

um später als Obelisk

die Freiheit zu verkörpern.

 

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Zerissen, gespalten, fort

ist etwas wohl im Innern.

Spreche ich laut: „Oh, Gott“,

hör ich die eigene Stimme.

 

So beschmierst du die Seite

für ein winziges Wunder.

So siehst du aus dem Nirgendwo

auf dich selbst herunter.

 

Dieses, o Herr, sind die Spesen

des Genres (oder ist`s hitzbedingt?).

Kupfergeld als Rest rausgegeben

auf ein unentgeltliches Geschenk

 

Einem Gebet ähnelt dies kaum.

Vergessen der Menschenfischer.

Ein Fisch mit zerissnem Maul

schnappt nach dem Wort gewisser.

 

_______________

 

Fröhliches Mexiko-City,

wie Tequilla strömt hier das Leben.

Ihr sitzt in einer Kaschemme.

Die Wirtin, unentwegt redend,

 

vergaß euch und was ihr bestellt,

schäkert mit dem Brunetten lieber.

Vergeßlich wie alles auf der Welt.

Oder zumindest auf dieser.

 

 

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