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Lyrik [deutsch - russisch]

Dem Schicksal kann man nicht entgehen

Manchmal erinnern meine Frau und ich uns mit einem Lachen daran, dass ich beinahe unsere Hochzeit verschlafen hätte. Ljuba und ich hatten uns entschlossen, uns zur standesamtlichen Trauung anzumelden, und vereinbart, wo und um wie viel Uhr wir uns vorher treffen wollten. Sie kam, und ich war nicht da. Sie fuhr zu mir nach Hause, und ich schlafe meinen tiefen Junggesellenschlaf, obwohl es schon auf Mittag zugeht. (Als ich jung war, hätte ich einen Weltkrieg verschlafen können, von einer Heirat ganz zu schweigen).

Ljuba fing an, auf mich, den Schlaftrunkenen, einzureden, dass heute unser glücklichster Tag sei, und ich widersprach praktisch nicht. Mit einem Gähnen und einem Strecken machte ich mich irgendwie fertig, und wir eilten zum Standesamt. Aber dort ist die Registrierung für heute schon abgeschlossen. „Seien Sie so nett“, sagt man uns dort, „und komme Sie morgen wieder.“ Das heißt, unsere Gefühle füreinander werden einer zusätzlichen harten Prüfung unterzogen.

Wir bestanden sie und kamen am nächsten Tag wieder. Da aber stellte sich heraus, dass die Eheschließungsformulare in irgendeinem Schrank eingeschlossen waren, und niemand einen Schlüssel für ihn hatte.

Manch Bräutigam hätte sich diese Chance nicht entgehen lassen und sich aus dem Staub gemacht. Ich jedoch zeigte Verantwortungsgefühl und hohe moralische Qualitäten und – wartete geduldig, bis jemand den Schlüssel holen ging, als Resultat dessen ich nun seit 45 Jahren verheiratet bin.

Ich möchte erklären, warum ich mich vom Schicksal damals an die Leine nehmen ließ. Ljuba ist genau neun Monate jünger als ich. Was hat das zu bedeuten? Nun, folgendes: Am Tag, als ich geboren wurde, bemerkte man in höheren Himmelssphären, dass es keine Frau für mich gäbe. In der kommenden Nacht wurde dieser Fehler korrigiert, und neun Monate später – bitte sehr!

In späteren Jahren schmiedete ich für Ljuba diese Verse:

 

Alles werdʾ ich mit dir dulden, alles Leid,

selbst mit grauem Haar, im Kopf schon leicht verwirrt.

Nostradamus hat uns beide prophezeit –

und sich dabei im Jahrhundert nicht geirrt.

 

Wer sagt, dass dies keine Liebeslyrik sei? Ich schreibe überhaupt Gedichte aus Berufung. Besonders, wenn ich etwas für meine Frau dichte. Zu einem runden Geburtstag von Ljuba schrieb ich einen Vierzeiler, den eine ihrer Freundin las und zu einer aus tiefstem Herzen kommende Aussage bewegte: „Ljuba, an deiner Stelle hätte ich mich schon längst scheiden lassen!“

Na, erstens, dafür müsste sie erstmal an ihrer Stelle sein, und zweitens, weswegen sich denn gleich scheiden lassen?

 

Hier sind jene zu Herzen gehenden Zeilen:

 

Dein Mann ist blöd und kleinkariert.

Er wirkt auf jeden sehr ermüdend.

Dein Jungsein hat er ruiniert,

mit Freuden wird er auch im Alter wüten.

 

 

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