Mnemosina e.V. - Verein für europäische Erinnerungskultur

Lyrik [russisch - deutsch]

Prosa [russisch - deutsch]

Dokumente [russisch - deutsch]

< Übersetzungen

Lyrik [deutsch - russisch]

Tiger oder Katze

Auch ich selbst bin ein Denker. Ich liebe es, über etwas zu sinnieren, das sich nicht begreifen lässt. Nein, nicht darüber, was zuerst da war – Huhn oder Ei? Mich interessiert eher, ob zuerst Tiger oder Katze da war.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Die erste: Am Anfang erschuf Gott die Katze. Er schuf sie und war selbst beeindruckt, wie sehr sie ihm gelungen war. Und beschloss, eine ganze Familie von Katzen zu erschaffen. Tiger, Löwe, Panther, Leopard … Die zweite Möglichkeit, die mir wahrscheinlicher vorkommt: Am Anfang wurde ein Tiger oder Leopard erschaffen. Was für ein Wunder! Man möchte ihn aufs Knie setzen, ihn streicheln und kraulen. Aber ein Tiger lässt sich nicht gerne hinter dem Ohr kraulen. Mit so viel Jod kann man sich gar nicht eindecken …

Daher beschloss Gott, etwas Ähnliches im Kleinen zu erschaffen. Wer sich auch nur ein wenig auf Katzen versteht, mag mit mir begeistert applaudieren. Alle Geschöpfe Gottes sind schön, aber eine Katze steht einzigartig da. Aber eigentlich liegt sie häufiger, als dass sie steht. Katzen stehen und sitzen keine Minute mehr als nötig, sie legen sich bei der erstbesten Gelegenheit hin, was gleichermaßen von ihrer Außergewöhnlichkeit zeugt. Hier sitze ich jetzt und schreibe, und neben dem Computer, unter der Tischlampe, liegen zwei Kater: Keschka und Joschka, die Anteil nehmen.

Als Denker komme ich nicht weit. Ich brauche sehr lange, um zu einem Gedanken von großem Gewicht zu gelangen, und dann lasse ich mich von etwas ablenken. Und der Gedanke zieht zum nächsten weiter.

Aber noch häufiger kommt mir überhaupt kein Gedanke, obwohl ich empfangsbereit bin und ein paar Gehirnzellen für ihn freihalte. Dieses Martyrium des Denkers habe ich einmal sogar in Versen reflektiert:

 

Die Weisheit ist uns allen ein Begriff,

sie führt zu Gipfeln und zu tiefen Quellen …

An Würstchen denkt man dabei besser nicht,

soll sich zum Kopf Erhabenes gesellen.

 

Ich kennʾ das Leben, hab das Sein befragt,

und sei ich auch kein großer Philosoph,

Gedanken doch an Wurst hab ich verjagt,

ob sie geräuchert sei, ob fein, ob grob …

 

Die Krakauer hab ich zuerst verbannt,

danach (wie schwer fiel es) den rohen Schinken.

Vollkommen leer wurde mein Kopf sodann,

als ich beschloss, an Wiener nicht zu denken.

 

Soll doch das Corned-Beef nun einsam sein,

soll doch die Mettwurst baumeln an den Stangen.

Was sollʾs! Doch kein Gedanke stellt sich ein.

Wie soll ich zum Erhabenen gelangen?

 

Jetzt gibt es Lebensmittel überall,

im Land gibtʾs reichlich Wurst, in allen Sorten.

Doch ob man denkt, nicht denkt – derselbe Fall:

Die Wurst ist wieder teuerer geworden.

 

Ergründen wolltʾ ich unsʾre Existenz,

wie Sokrates und viele andʾre Weise.

Doch wenn ich jetzt an all das Hohe denkʾ,

dann sindʾs Gedanken an die hohen Preise.

 

So saß ich drei geschlagʾne Stunden lang …

Kein Sinn sah ich, die vierte totzuschlagen.

Ich ging zur Küche hin, wo irgendwann

die wunderbaren Wurstvorräte lagen.

 

Ich aß ein halbes Kilo oder mehr,

die Wurst mit dunklem Bier im Schlund versenkend.

Sagt, was ihr wollt: Doch mir fällt es sehr schwer,

so pausenlos an Höheres zu denken.

 

Und jetzt, mich an diese Verse erinnernd, zog es mich wieder in die Küche. Beide Kater schauen mich verständnisvoll an, und es sieht so aus, als ob sie meine Absichten teilen würden.

 

 

Mnemosina e.V. - Verein für europäische Erinnerungskultur

Mnemosina e.V.

Verein für europäische Erinnerungskultur

Mnemosina e.V.  - Verein für europäische Erinnerungskultur | Kaiserswerther Str. 4 | 50739 Köln

 

Urheberrecht & Datenschutzerklärung